Jahreswechsel bei den steinernen Riesen – Rapa Nui

Osterinsel Anakena

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Mit einem herzlichen „Iorana!“ begrüßt uns unsere Gastgeberin Evelin am Flughafen von Hanga Roa und legt uns aus frischen, grünen Blättern geknüpfte Ketten um den Hals. Offiziell sind wir hier auf der Osterinsel zwar noch auf chilenischem Staatsgebiet und somit in Südamerika, doch die lokaltypische Begrüßung ist schon polynesisch. Zum Jahreswechsel wechseln wir auch den Kulturkreis und das Jahr 2017 beginnt für uns unter den mystischen Blicken der rätselhaften Steinskulpturen der Rapa Nui.

Evelin ist Mitarbeiterin des Campingplatzes Mihinoa, auf dem wir für die nächsten fünf Nächte unser Zelt aufschlagen. Und wir sind bei Weitem nicht die einzigen, die hier ihre Heringe in den Boden rammen. In der geräumigen und hoch frequentierten Küche treffen wir während unseres Aufenthalts Deutsche, Franzosen, US-Amerikaner, Chilenen, Niederländer, Inder, Chinesen, Taiwanesen, Koreaner und Litauer. Kaum zu glauben, wen es alles auf diese kleine Insel mitten im Nirgendwo verschlägt. Aber gut: „Rapa Nui“ – die Bezeichnung der Einheimischen für sich selbst und die Osterinsel – bedeutet nichts Anderes als „Nabel der Welt“.

Wir erkunden zunächst Hanga Roa, das einzige Dorf und somit auch die „Hauptstadt“ der Insel. Zum Glück sind wir nicht direkt aus Deutschland hierhergekommen, der Kulturschock hätte uns kalt erwischt, so viel langsamer und entspannter verläuft hier das Leben. „Funktioniert doch auch so wie hier“, philosophiert unsere Reisebekanntschaft Matthias aus Schwaben, „wir Deutschen dagegen führen das weltweit wohl hektischste Leben – und sind auch noch so blöd, darauf stolz zu sein!“

Osterinsel Hanga Roa Bäckerei
Wir stärken uns vor der Erkundung von Hanga Roa mit Maracujatorte und -kuchen.

Etwas außerhalb von Hanga Roa erblicken wir dann die ersten Moai, so heißen die steinernen Riesen in der Sprache der Rapa Nui. Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung. Schon seit mir mein Klassenlehrer in der Grundschule von den untergegangenen Kulturen dieser Welt erzählte, wollte ich diese „Steinköpfe“ auf der Osterinsel mit eigenen Augen sehen.

Osterinsel Ahu Tahai
Unsere ersten Moai: Die Besonderheit an der Anlage Ahu Tahai …
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… ist die einzige Skulptur mit restaurierten Augen.

Der zweite Tag steht im Zeichen des sogenannten Vogelmanns, auf dessen Spuren wir den Vulkan Rano Kau erwandern. Der Vogelmann war in der alten Kultur der Rapa Nui der zeitlich befristete oberste Priester und Herrscher, der unter anderem auch entschied, welche Personen dem höchsten Gott Make-Make geopfert werden mussten.

Klar, dass nicht jeder dahergelaufene Tunichtgut in diese mit so weitreichenden Befugnissen ausgestattete Position gelangen sollte. Das Auswahlverfahren war hart: Die von den verschiedenen Stämmen entsandten Kandidaten mussten unter Einsatz ihres Lebens die steilen und scharfkantigen Klippen unterhalb des Rano Kau herunterklettern, dann zur vorgelagerten Insel Motu Nui schwimmen und von dort als erster ein Ei der Rußseeschwalbe zum Festland zurückbringen.

Osterinsel Motu Nui
Die hintere Insel ist das Ziel der Vogelmannkandidaten.

Der Gewinner durfte sich der Gunst von Make-Make, der sich dem Glauben der Rapa Nui zufolge gerne als Vogel inkarniert, sicher sein. Im Kultdorf Orongo auf dem Rano Kau wurde er dann durch komplizierte Rituale als neuer Vogelmann inthronisiert.

Osterinsel Orongo
In Orongo dominiert der flache Rundbau …
Osterinsel Rano Kau
… und im Krater des Rano Kau ruht dieser schilfbewachsene Süßwassersee.
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Vogelgott Make-Make erscheint augenblicklich, als ich auf einer Bank am Krater Knabberkram aus dem Rucksack ziehe.

Nicht alles auf der Osterinsel lässt sich von Hanga Roa aus erwandern. Also schwingen wir uns am nächsten Tag, nachdem wir uns im Museum einen Überblick über Geschichte und Kultur der Rapa Nui verschafft haben, aufs Moped. Ein kurzer Stopp an unserer Lieblingsbäckerei und schon düsen wir mit Kuchen im Gepäck in Richtung des einzigen Sandstrandes der Insel – Anakena.

Mopedfahren auf Rapa Nui ist so ein bisschen wie ein Computerspiel, bei dem man am laufenden Band Schlaglöchern, streunenden Hunden, wilden Pferden, Kühen und entkräfteten Fahrradfahrern ausweichen muss, ohne sich von den überall herumstehenden und -liegenden Moai ablenken zu lassen. Level 1 – von Hanga Roa nach Anakena – schaffen wir zwar nicht in Bestzeit, aber unbeschadet.

Osterinsel Ostküste Moped
Not-so-easy Rider – Ich gönne mir eine Pause vom Schlaglochparkour.

In der Bucht angekommen, machen wir uns im Palmenschatten über unseren Kuchen her und beobachten dabei das bunte Gewimmel am Strand. Die Moai nehmen wir natürlich auch unter die Lupe.

Osterinsel Anakena
Die Moai von Anakena …
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… sonnen ihre reichverzierten Rücken, …
Osterinsel Anakena
… während sich Einheimische und Touristen ins kalte Nass stürzen.

Unser nächstes Ziel ist Tongariki, der größte Ahu (Kultplatz) der Insel. Fünfzehn Moai hat ein Stamm der Rapa Nui hier aufgereiht. Als Begräbnisstätte? Zur Ahnenverehrung? Für religiöse Rituale? Als Demonstration der eigenen Leistungsfähigkeit und Stärke? Wirklich sicher sind sich die Forscher da nicht. Wir haben die Anlage am Nachmittag fast für uns alleine und tauchen in die geheimnisvolle Atmosphäre ein. Außer der Brandung und dem gelegentlichen Schrei einer Möwe hört man so gut wie nichts und die fünfzehn Moai starren wie vor Jahrhunderten todernst ins Landesinnere.

Osterinsel Tongariki
Wir betrachten die Moai von Tongariki aus der Ferne …
Osterinsel Tongariki
… und nach einer kurzen Pause im Gras …
Osterinsel Tongariki
… auch aus nächster Nähe.

Nicht alle Moai stehen so fein aufgereiht auf ihren Ahus, die meisten wurden einst im Zuge von Kriegen um knappe Ressourcen von ihren Podesten gestürzt und noch nicht wieder – wie z.B. Tongariki in den neunziger Jahren – restauriert. An der Küstenstraße kommen wir an vielen Moai vorbei, die wie hinterrücks Erschlagene mit dem Gesicht nach unten im Gras liegen. Man möchte die armen Kerle am liebsten sofort wieder aufrichten oder zumindest auf den Rücken drehen.

Osterinsel Ostküste Moai
Ein Trauerspiel: Der Hut des linken Moai ist schon halb im Erdreich versunken, dem rechten Moai fehlt sogar der Kopf.

Wo kommen die Moai eigentlich her? Die „Moai-Fabrik“ ist der Berg Rano Raraku, aus dem die Rapa Nui insgesamt wohl an die 1000 gigantische Steinskulpturen herausmeißelten, um sie dann – man weiß nicht genau wie – kilometerweit zu den Ahus an der Küste zu transportieren. Schon als wir am Silvestermorgen auf dem Moped die Straße zum Berg hinaufkurven, sehen wir unzählige liegende, stehende oder bis zum Hals in der Erde steckende Moai, die ihre Bestimmungsorte an der Küste nicht mehr erreicht haben. Fasziniert spazieren wir einige Stunden durch die surreale, mit bis zu fünf Meter hohen Skulpturen gespickte Landschaft.

Osterinsel Rano Raraku
Dieser Moai ist nicht mehr fertig geworden, …
Osterinsel Rano Raraku
… diese beiden sind schon aufgerichtet, aber noch nicht abtransportiert.
Osterinsel Rano Raraku
Es sieht aus, als ob sie schmollen, weil sie in der Erde feststecken.

Am Nachmittag geben wir unser Moped ab und kaufen im Dorf für den Silvesterabend ein. Zurück am Campingplatz kochen und essen wir in aller Ruhe ein Gemüsecurry, das durchaus den ein oder anderen neidischen Blick unserer Campingnachbarn auf sich zieht. Danach machen wir uns mit Picknickdecke, Knabberkram, Limonade und Bier auf ins Städtchen. Auf einer Bank am Meer genießen wir den letzten Sonnenuntergang des Jahres 2016, bevor wir ins Zentrum schlendern.

Osterinsel Hanga Roa Sonnenuntergang
Das Jahr 2016 verabschiedet sich mit diesem bombastischen Sonnenuntergang!

Auf dem Platz vor dem öffentlichen Schwimmbad ist schon eine Bühne aufgebaut, auf der heute Abend polynesische und südamerikanische Livemusik erklingt. Viele Einheimische haben sich in Erwartung des neuen Jahres schon mit Picknickdecken, Klappstühlen, Kühlboxen und Grills auf der Wiese eingerichtet und feiern. Wir tun es ihnen gleich und rutschen begleitet von einem knallbunten Feuerwerk in das Jahr 2017.

Nach der ganzen bequemen Mopedfahrerei ist es am Neujahrstag mal wieder Zeit für etwas Bewegung. Wir nehmen eine mehrstündige Wanderung im Westen der Insel in Angriff, die uns an der Küste entlang zu einigen Höhlen und dann zum einzigen Ahu im Landesinneren führen soll.

Osterinsel Westküste Brandung
Immer wieder ein faszinierendes Schauspiel: Der Pazifik brandet gegen die felsige Küste.

Kaum haben wir einige Schritte an der Küste gemacht, winkt uns eine einheimische Großfamilie, die in einem Bierzelt in Klippennähe feiert, zu sich heran. Aus dem geparkten Pickup dröhnt Partymusik und auf dem gigantischen Grill brutzeln Würste, Hühner und ein riesiger, selbstgefangener Fisch vor sich hin. Der Plastiktisch biegt sich unter Getränken und Salaten. Ob die Familie noch oder schon wieder feiert, ist nicht ganz klar, man hat sich jedenfalls schon ein paar Getränke gegönnt. An Neujahr sei es Tradition, andere an seinen Tisch zu bitten, so Familienvater Marco: „¡Feliz año nuevo!“ Wir werden erst wieder entlassen, nachdem wir uns das dritte Mal vom Grill nachgeholt haben. Der Fisch ist ein absolutes Highlight; wenn 2017 kulinarisch so weitergeht, dann aber guten Appetit!

Mit übervollen Mägen wandern wir weiter – vorbei an weiten Wiesen, auf denen Pferde grasen, und vereinzelten Häusern, deren Gärten voller Büsche mit kindskopfgroßen Blüten sind. Interessant ist bestimmt auch die am Weg liegende Höhle Ana Kakenga, wenn man nicht wie wir die Stirnlampen im Zelt vergisst und so nur rabenschwarze Nacht vor Augen hat. Den Ahu im Landesinneren erreichen wir aber noch vor Sonnenuntergang.

Osterinsel Westküste Pferde
Wir sind nicht die einzigen, die einen Neujahrsspaziergang machen.
Osterinsel Westküste Blüte
Riesige Blüten wie diese säumen unseren Weg.
Osterinsel Ahu Akivi
Diese Sieben haben den einzigen Ahu mit Meerblick erwischt.

Den letzten Tag verbringen wir entspannt auf unserer Picknickdecke unter den Palmen am Schwimmbad – ein wenig Entspannung, bevor wir heute Abend nach Tahiti fliegen.

Osterinsel Hanga Roa Freibad
Tag am Meer: Im Schwimmbad ist nicht viel los.

Und so schließt sich abends der Kreis. Wieder stehen wir am Flughafen. Wieder mit Evelin. Und wieder bekommt jeder von uns eine Kette von ihr, diesmal eine Schnur mit einem Miniatur-Moai als Andenken an den Jahreswechsel bei den steinernen Riesen der Rapa Nui.

Reisezeit: 28. Dezember 2016 bis 2. Januar 2017