Zu Fuß durch die Cordillera Blanca – der Santa Cruz Trek und die Laguna 69

Panorama Santa Cruz Trek

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Drei Nächte, vier Tage. 2900 bis 4750 Höhenmeter. 45 Kilometer zu Fuß, mit Schlafsäcken, Isomatten, Zelt und Verpflegung auf dem Rücken. Unter Null bis über 20 Grad Celsius. Kein Telefon und kein Internet. Keine Restaurants, keine Läden, keine Duschen und keine Toiletten. Nur Berge, Wiesen, Flüsse, Wasserfälle und Lagunen. Für die einen klingt das nach Romantik und Natur pur, für die anderen nach bloßer Quälerei jenseits von jeglicher Zivilisation und jeglichem Komfort. Wir wollen es wissen und nehmen den Santa Cruz Trek in den peruanischen Anden in Angriff.

Die auf 3100 Höhenmetern liegende Kleinstadt Huaraz – das peruanische Trekking-Mekka – ist dafür unser Ausgangspunkt. Wir wohnen im Caroline Lodging, das vom pensionierten belgischen Reiseleiter Paul und seiner peruanischen Frau geführt wird. Paul spricht Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch, Spanisch sowie Arabisch – und das auch oft gleichzeitig mit mehreren Gästen, ohne dabei den Überblick zu verlieren oder je irgendein Anliegen zu vergessen. Beeindruckend!

Dachterrasse Caroline Lodging
Von der Dachterasse des Caroline Lodging in Huaraz sehen wir schon die schneebedeckten Fünftausender.

Bei Paul leihen wir uns auch warme Schlafsäcke und Isomatten. Zelt und Rucksäcke haben wir. Da wir auch zuhause keine passionierten Köche sind, verzichten wir darauf, Gaskocher und Geschirr mitzuschleppen und decken uns stattdessen auf dem Markt mit Obst, Nüssen, Avocados, Käse, Brot und Knabberkram ein.

Markt Huaraz
Laura verhandelt hart.

Der wichtigste Teil der Vorbereitung fehlt aber noch: die Akklimatisierung. Um zu sehen, wie wir mit Höhen jenseits von 4000 Metern zurechtkommen, buchen wir vor dem großen Trek noch einen Tagesausflug zur Laguna 69. Dieser beginnt um fünf Uhr morgens mit einer dreistündigen Busfahrt, die ich aber leider nicht zum Weiterschlafen nutzen kann. Denn der Guide redet ununterbrochen und laut lachend auf die etwa dreißigköpfige, hundemüde Gruppe ein. Seine bevorzugten Themen: die Fruchtbarkeit der Peruaner, Potenzsteigerung durch Nacktbaden in der Lagune, „making friends“ … Spätestens jetzt bin ich heilfroh, dass wir den Santa Cruz Trek ohne Guide angehen. Nicht auszudenken, man geriete für einen Mehrtagestrek an solch einen pubertären Clown, der einem in den Bergen dann vier Tage lang die Ohren abkaut.

Die dreistündige Wanderung zur Lagune führt zunächst an einem Fluss entlang durch ein flaches Tal: Die Sonne scheint, der Fluss rauscht vor sich hin und von links und rechts stürzen sich Wasserfälle ins Tal. Bis zur Lagune müssen wir dann noch zwei steile Anstiege und ein dazwischenliegendes Plateau überwinden. Die Höhenkrankheit verschont uns dabei zum Glück mit Kopfschmerzen und Übelkeit. Ab 4000 Metern Höhe kommen wir manchmal ins Schnaufen und müssen das ein oder andere Mal kurz pausieren, insgesamt fühlen wir uns aber fit für Santa Cruz.

Tal Laguna 69
An Fluss und Wasserfällen vorbei führt der Weg …
Laguna 69
… zur Laguna 69.
Laguna 69
Frau in Rot sitzt neben grünem Busch vor blauer Lagune.

Am nächsten Vormittag stehen wir dann nach mehrstündiger Collectivo-Fahrt im Dorf Vaquería. Esel werden be- und entladen, Wanderer, die den Trek in entgegengesetzter Richtung hinter sich gebracht haben, essen und trinken fröhlich in einem der Straßenlokale. Ein Franzose, der vor Muskelkater kaum noch gehen kann, versucht irgendwo Dollar in Soles umzutauschen – er hat auf dem Trek sein letztes peruanisches Geld für einen Transportesel ausgegeben, weil er selbst und seine Freundin die Rucksäcke nicht mehr tragen konnten. Zwei belgische Pärchen und ein Amerikaner, denen wir später hier und da noch begegnen, machen sich auf den Weg.

Nach einer kleinen Stärkung aus Kaffee und Käsebrot gehen auch wir los. Wir erfragen uns den Weg aus dem Dorf, passieren einen duftenden Eukalyptuswald und das Dorf Hauripampa mit seinen Meerschweinzüchtern. Danach ähnelt die Szenerie zunächst derjenigen auf dem Weg zur Laguna 69: Tal, Fluss, Wasserfälle. Wir gehen unser gemütliches Tempo und machen Pause, wann es uns passt. Manchmal kreuzen Esel, Schafe, Pferde oder Kühe unseren Weg.

Vaquería
Wir verlassen das Dorf, …
Esel Santa Cruz
… begegnen Eseln …
Schafe Santa Cruz
… und Schafen …
Berge Santa Cruz
… und nähern uns den Fünftausendern.

Geführten Gruppen begegnen wir später auch. Ohne nennenswertes Gepäck auf dem Rücken, dafür aber zumeist mit Wanderstöcken ausgerüstet rasen fitte Mittzwanziger in Zehner- oder Fünfzehnerrudeln an uns vorbei.

In kurzem Abstand folgen dann die Esel, die deren Ausrüstung transportieren. 40 bis 50 kg an Gasflaschen und -kochern, Zelten, Brennholz, Essensvorräten, Schlafsäcken usw. tragen die oft mageren Tiere auf ihren nicht selten wundgescheuerten Rücken. Und die sogenannten „Donkey Driver“ machen mit ihren Bambusstöcken Tempo, denn das Lager für die Touristen muss ja pünktlich stehen. Gerade in den hohen und steilen Lagen ein erbärmliches Schauspiel, das mich an Raskolnikovs Traum denken lässt.

Die „Campingplätze“ auf dem Santa Cruz Trek sind nicht sehr einladende, von Eseln vollgeschissene, halbwegs ebene Flächen. Auf manchen stehen noch völlig zerstörte Ruinen ekeliger Toilettenhäuschen oder schiefe Schilder mit den Namen der Plätze. Wir lehnen dankend ab und marschieren immer bis zur Dämmerung und bauen unser Zelt dann etwas abseits vom Wanderweg auf. So lassen wir auch am ersten Abend den Campingplatz Paría hinter uns und finden flussaufwärts ein romantisches Plätzchen hinter einem riesigen Felsen auf der anderen Seite des Flusses.

Zelt Santa Cruz
Unser Zelt ist fast ganz aufgebaut.

Der zweite Tag ist der Tag der Überquerung des Passes Punta Union auf 4750 Metern. Und diese Überquerung ist noch einmal eine andere Hausnummer als die dreistündige Wanderung zur Laguna 69: Der Pass liegt 500 Meter höher, wir haben jeder ca. acht Kilo auf dem Rücken, sieben Stunden Wanderung vom Vortag stecken uns noch in Knochen und bis nach oben dauert es ca. fünf bis sechs Stunden. Nach zwei Stunden Steigung sehen wir zum ersten mal den Pass.

Bewegt man sich zuhause in der gewohnten urbanen Umgebung zu Fuß vorwärts, merkt man das auch: Man macht zehn Schritte und schon sieht man Häuser, Autos, Bänke usw. aus einer anderen Perspektive. Vor dieser monströsen Kulisse hier merkt man gar nichts. Man macht zehn, hundert, tausend Schritte und der verdammte Pass ist immer noch genauso weit entfernt wie vorher. Es ist, als trete man auf der Stelle.

Pass Santa Cruz
Wir sind auf dem Weg zur Punta Union, …
Santa Cruz Pass
… werfen einen Blick zurück ins Tal …
Pass Santa Cruz
… und einen nach vorn: Die Kerbe rechts oben im Horizont – das ist der Pass.

Nachdem wir zwei weitere Stunden ohne sichtliche Veränderung auf den Pass zugelaufen sind, beginne ich mich zu fragen, was ich hier eigentlich tue. Der Rucksack wird immer schwerer, Beine und Rücken schmerzen, die Luft bleibt mir immer öfter weg. Warum liege ich nicht irgendwo am Strand lesend in der Hängematte, anstelle mich hier zwischen wolkenverhangenen Gipfeln und höhnisch rauschenden Wasserfällen zu quälen? Wie kann man sich das nur freiwillig antun? Wütend schreite ich voran und denke mich, den Blick auf den Boden vor mir gerichtet, weiter in Rage – bis ich plötzlich und völlig unerwartet vor der letzten Abbiegung zum Pass stehe!

Wir haben es also geschafft! Auf dem Gipfel treffen wir auf die beiden belgischen Paare, beglückwünschen uns gegenseitig und schießen Fotos.

Pass Santa Cruz
Noch einmal links abbiegen!
Santa Cruz Pass
Wir beide posieren am höchsten Punkt der Wanderung.
Santa Cruz Pass
Der Weg hinab führt an Wasserfällen und dieser türkisen Lagune vorbei.

Viel Zeit zum Stolzsein und Ausruhen ist allerdings nicht: Denn kaum haben wir den Pass überschritten, fängt es aus allen Richtungen an zu stürmen und zu hageln. Der Weg ins Tal ist nach nur wenigen Minuten eigentlich kein Weg mehr, sondern ein Fluss, aus dem hier und da kopfgroße Steine herausschauen, über die wir balancieren. Nach etwa drei Stunden erreichen wir – trotz Regenhosen, -jacken und -hüllen – durchnässt und frierend den Zeltplatz Taulipampa am Flussufer im Tal.

Etwas weiter flussabwärts als die geführten Gruppen finden wir einen Platz für unser Zelt. Zwar hat es mittlerweile ganz aufgehört zu regnen, doch der Zeltaufbau birgt andere Tücken: Die abendlich auftauchenden Stechmücken (kleiner als gewöhnliche Moskitos, geräuschlos, in riesigen Schwärmen) treiben uns fast in den Wahnsinn, indem sie uns Hals, Hände und Gesicht blutig beißen. Ein wilder Hund versucht, sich an unsere Essensvorräte heranzumachen, während wir mit Plane und Heringen hantieren. Richtig zügig kommen wir also nicht voran, zumal unsere Hände fast steifgefroren sind. Zu allem Überfluss bemerkt Laura noch Kuhscheiße an ihrer Hose, die sie dann im eiskalten Fluss auswaschen muss.

Irgendwann haben wir es dann aber geschafft und liegen erschöpft mit nassen Pullovern und klammen Schlafsäcken in unserem kalten Zelt. Man kann sich Angenehmeres vorstellen. Aber am Ende sind das die in Erinnerung bleibenden, romantischen Aktionen. Wir werden uns sicher öfter daran erinnern, wie wir gegen Hund und Mücken kämpfend mit steifgefrorenen Händen und Kuhscheiße an der Hose in den Anden unser Zelt aufgebaut haben, als wie wir in irgendeinem bequemen Hotel die Klimaanlage auf 20 Grad gestellt und dann ferngesehen haben.

Der nächste Morgen begrüßt uns mit Sonnenschein. Die Belgier, die neben uns gezeltet haben und uns dankenswerter Weise zum Frühstück mit einem warmen Tee versorgen, beschließen, in einer Tour nach Cachapampa durchzumarschieren und den Trek so zu beenden. Wir entscheiden uns nach einigem Hin und Her, noch den Abstecher zur Lagune Arhuaycocha zu machen und erst am nächsten Tag nach Cachapampa zu wandern. In einem kleinen Wäldchen versteckt Laura ihren Rucksack zwischen zwei Grasbüscheln, um diesen nicht zur Lagune und wieder zum Hauptweg zurück schleppen zu müssen. Nach einem besonders malerischen Wanderabschnitt erreichen wir die Lagune und sind fasziniert. Sie ist, finde ich, nochmal schöner als die Laguna 69. Außerdem haben wir sie an diesem Vormittag ganz für uns alleine.

Tal Santa Cruz
Wir gehen noch nicht hinab ins Tal, …
Tal Santa Cruz
… sondern hinauf …
Laguna Arhuaycocha
… zur Laguna Arhuaycocha …
Laguna Arhuaycocha
… auf 4420 Höhenmetern.

Euphorisiert treten wir den Rückweg an: Noch schnell den Rucksack holen und dann gemütlich durch das Tal spazieren – so hatten wir uns das gedacht. Aber aus dem Wäldchen kommen anstelle einer fröhlichen, rucksacktragenden Laura nur verzweifelte Schreie: „Ich weiß nicht mehr, wo der Rucksack ist!“ Unter den irritierten Blicken der im Wäldchen grasenden Kühe drehen wir jeden einzelnen der hunderttausend völlig identischen Grasbüschel um, aber es bringt nichts: Der Rucksack bleibt verschwunden und Laura kann sich nicht an das Versteck erinnern. Dabei hatte uns José doch im Dschungel gezeigt, wie man sich durch das Abknicken kleiner Zweige orientieren kann. Wir Doofen!

Resigniert verlassen wir nach drei (!) Stunden des Suchens das Wäldchen und setzen uns auf den Felsen, auf dem wir vormittags Frühstückspause gemacht haben. Während ich mich schon in die völlig absurde Theorie versteige, dass uns jemand beobachtet und den Rucksack gestohlen hat, macht Laura ein paar Schritte nach hinten, hantiert an einem Grasbüschel herum … – und kommt freudestrahlend mit ihrem Rucksack zurück. Nun ja, warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Durch diese Verzögerung sind wir natürlich die letzten Wanderer im Tal, aber auch die einzigen, die diesen Regenbogen zu Gesicht bekommen:

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Exklusive Veranstaltung: Dieser Regenboben zeigt sich nur uns.

Wir wandern noch lange und bauen unser Zelt erst im Dunkeln auf, um ein bisschen Zeit aufzuholen.

Am letzten Tag begegnet uns kaum jemand. Der steinige Weg hinab zieht sich gegen Ende noch ganz schön hin. Ich muss an den erschöpften Muskelkater-Franzosen denken, den wir in Vaquería getroffen haben, und bin dabei heilfroh, dass wir den Trek in die andere Richtung gehen und diesen Weg nicht hochlaufen müssen.

Reisezeit: 9. bis 15. Oktober 2016